Räume prägen – Besichtigungstour in Kirchheim

Räume prägen – Besichtigungstour in Kirchheim

Am Samstag, 29. Juni 2019, war Tag der Architektur. Unter fachkundiger Führung konnten interessierende Bürgerinnen und Bürger ausgewählte Bauten in ihrer Umgebung kennenzulernen. Das Motto des diesjährigen Aktionstags lautet „Räume prägen”.

Der Historiker Dr. Eberhard Sieber lädt zu einem Spaziergang durch Kirchheim ein. Auf den Spuren von Architekt Philipp Jakob Manz (1861 – 1936) werden gründerzeitliche Villen und repräsentative Industriebauten in der Paradies-, Kolb-, Plochinger und Dettinger Straße vorgestellt und besichtigt.

Dabei kommen städtebauliche Aspekte genauso zur Sprache wie die Grundrisseinteilung oder die Gestaltung der Gebäude. Es soll nachgespürt werden, wie der Raum prägt: Welche Wirkung übt er aus, wie fühlen sich die Nutzer darin? Und was macht er mit seiner Umgebung? Denn jeder Bau formt auch die Nachbarschaft mit. Die gemeinsame Besichtigungstour bietet für die Teilnehmenden viele Gelegenheiten, eigene Fragen zum Planen und Bauen zu klären.

So auch die Villa Fritz Weise

1887/88 hatte der aus Sachsen stammende Max Weise von Emil Helferich eine Flanschenfabrik mit 35 Arbeitern gekauft und sie sehr schnell ausgeweitet. Die Firma „Emil Helferich Nachfolger“ verkaufte ihre Produkte ins gesamte Reichsgebiet und ins benachbarte Ausland.
Die Produktionsbedingungen der Firma wurden wesentlich verbessert durch den Gleisanschluss. Weise hatte sich energisch für die Verlängerung der Eisenbahn von Kirchheim nach Oberlenningen eingesetzt. Max Weise war der erste größere Auftraggeber von Manz.

Bereits 1892 beauftragt Weise Manz mit dem Bau einer herrschaftlichen Villa gegenüber der Fabrik in der Dettinger Straße 95. Manz entwarf ein für Kirchheimer Verhältnisse ungewöhnlich aufwendiges und repräsentatives Wohnhaus.
Die Außenwirkung war sicher beabsichtigt. Die Villa zeigte die Prosperität und
Kreditwürdigkeit des Unternehmens sowie die patriarchalische Unternehmensführung. Der Baustil entsprach dem Zeitgeschmack, historistisch mit Anklängen an die Neorenaissance.

Der Bau erregte in Kirchheim beträchtliches Aufsehen und wurde Ziel von sonntäglichen Spaziergängen an den Stadtrand.
Er begründete den Ruhm von Manz als Architekt von prächtigen und repräsentativen Bauten von hoher Qualität.
Der Comptoirbau

Die Firma Emil Helferich Nachfolger expandierte sehr stark, entsprechend wurde sehr viel gebaut. Immer hieß der Architekt Philipp Jakob Manz. Die Firma endete 1977, die meisten Gebäude existieren nicht mehr.

Übrig geblieben sind eine Fabrikhalle mit Sheddachoberlichtern und vor allem die Kopfbauten zur Dettinger Straße. Sie wurden von 1894 bis 1912 in mehreren Etappen aus- und umgebaut. Das unterkellerte Gebäude in der Dettinger Straße 92 enthielt eine Portierloge, Büro- und Lagerräume.

1912 bekam das Ensemble endgültig sein für ein Bürogebäude ungewöhnlich repräsentatives Aussehen.

Das Comptoirgebäude stellt durch die originelle Bauweise eine neue Stufe der Manzschen Architektur dar: Es spiegelt das Selbstbewusstsein des Fabrikanten, das sich nicht mehr historisch überlieferter Formen bedient, sondern eigene Stilmittel entwickelt und nach außen darstellt.